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Technische Schulden in Self-Service BI

Self-Service-Datenlösungen versprechen Geschwindigkeit, Flexibilität und Nähe zum Fachbereich. Fachanwender können eigene Berichte, Dashboards und Datenprodukte erstellen, ohne jedes Mal die IT involvieren zu müssen. Doch genau diese Freiheit führt oft dazu, dass technische Schulden entstehen – also bewusst oder unbewusst akzeptierte Defizite in Architektur, Code, Datenmodell oder Organisation, die sich erst langfristig negativ auswirken.


Der zentrale Punkt: Technische Schulden sind im Self-Service-Umfeld nicht nur normal, sondern oft sogar notwendig. Entscheidend ist, ob sie sichtbar, bewusst und steuerbar sind – oder still im Hintergrund wachsen, bis sie Projekte lähmen und eine Schatten-IT erzeugen.


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Was sind technische Schulden in Datenlösungen?

Vereinfacht gesagt entstehen technische Schulden, wenn eine Lösung aus heutiger Sicht „gut genug“ ist, aber nicht den optimalen technischen oder organisatorischen Standards entspricht. Im Gegensatz zu offensichtlichen Fehlern verhindern sie die Produktivsetzung nicht. Das Dashboard funktioniert, der Report liefert Zahlen – aber:


  • Die Wartung ist kompliziert

  • Die Erweiterung dauert länger als nötig

  • Compliance- oder Sicherheitsvorgaben werden umgangen

  • Der Betrieb ist fehleranfällig oder personell riskant


BARC beschreibt technische Schulden als eine Form von Abhängigkeiten, die wie ein Kredit mit Zinsen zurückgezahlt werden müssen. Am Anfang steht ein Vorteil – etwa schnellere Entwicklung –, später folgen Mehrkosten in Wartung, Support und Weiterentwicklung.


Warum Self-Service-Datenlösungen besonders anfällig sind

Self-Service-Datenplattformen sind darauf ausgelegt, Fachanwendern Freiräume zu geben. Sie kennen ihren Bedarf am besten und können eigenständig Lösungen bauen. Doch genau das bringt typische Muster mit sich:


  • Der Fokus liegt auf schneller Nutzbarkeit, nicht auf langfristiger Wartbarkeit.

  • Anwender haben oft keinen Gesamtüberblick über die Datenarchitektur.

  • Technische Schulden sind für sie unsichtbar, weil die Lösung ja „funktioniert“.

  • Verantwortung für Bereinigung, Standards und Governance liegt meist bei Experten, nicht bei den Erstellern.


Je mehr Tools, Freiheiten und Integrationsmöglichkeiten es gibt, desto größer kann die Summe der technischen Schulden werden – und desto größer ist ihr Einfluss auf die gesamte Datenlandschaft des Unternehmens.


Bewusste vs. unbewusste technische Schulden

Nicht alle technischen Schulden sind gleich problematisch. Wichtig ist die Unterscheidung:


  • Bewusst & umsichtig: Man entscheidet sich gezielt für Abkürzungen, um eine Lösung schnell zu liefern, und plant die spätere Bereinigung ein. Beispiel: Ein MVP-Dashboard nutzt zunächst ein bestehendes, suboptimales Datenmodell, um den Nutzen zu validieren.

  • Bewusst & ignorant: Sätze wie „Wir haben keine Zeit für sauberes Design“ sind ein Warnsignal. Es gibt keinen Plan für spätere Verbesserungen – das ist wie ein Konsumkredit ohne Tilgungsstrategie.

  • Unbewusst: Das Fachteam oder sogar die IT kennt bessere Ansätze nicht oder unterschätzt die langfristigen Folgen. Gerade im Self-Service ist das häufig, weil Datenkompetenz und Architekturverständnis unterschiedlich ausgeprägt sind.


Zusätzlich entstehen technische Schulden auch passiv, z. B. wenn Technologien veralten, Standards nicht aktualisiert werden oder ein BI-Werkzeug lange über sein technisches Lebensende hinaus betrieben wird.


Wie sich technische Schulden im Zeitverlauf auswirken

Zu Beginn sind technische Schulden oft ein Beschleuniger: Ein Datenprodukt ist früh produktiv, liefert Mehrwert und reduziert Opportunitätskosten. Doch mit der Zeit kehrt sich dieser Vorteil um.

Typische Effekte:


  • Steigender Wartungsaufwand: Anpassungen dauern länger, weil Workarounds, Speziallogik und veraltete Komponenten berücksichtigt werden müssen.

  • Verlust an Agilität: Neue Anforderungen lassen sich nur schwer integrieren, weil viele Abhängigkeiten entstanden sind.

  • „Verzinsung“ der Schulden: Je länger Schulden unberührt bleiben, desto teurer werden sie in der Bereinigung – etwa, wenn mehrere Reports von derselben unsauberen Datenquelle abhängen oder wenn Schlüsselpersonen das Unternehmen verlassen.

  • Blockierte Weiterentwicklung: Irgendwann erreicht ein Datenprodukt einen Punkt, an dem es wirtschaftlicher ist, neu zu beginnen, als weiter zu flicken.


In Self-Service-Umgebungen kann dies dazu führen, dass eigentlich erfolgreiche Lösungen plötzlich zum Risiko für Zuverlässigkeit, Vertrauen und Sicherheit der gesamten Datenlandschaft werden.


Wie technische Schulden kontrolliert aufgenommen werden

Technische Schulden vollständig zu vermeiden, ist weder realistisch noch sinnvoll. Der Schlüssel liegt in Governance und Strategie, nicht in starren Verboten.


Wichtige Prinzipien:

  1. Klare Mindeststandards definieren: Selbst im Einstiegs-Self-Service sollte es Regeln geben, etwa zu Namenskonventionen, Zugriffsrechten, Datenquellen und Dokumentationspflichten.

  2. Guided Self-Service etablieren: Die beste Wirkung entfaltet Self-Service, wenn Fachanwender begleitet werden: Schulungen, Sprechstunden, Templates, Best Practices und Reviews reduzieren unbewusste Schulden deutlich.

  3. Unterstützung an Standards koppeln: Eine mögliche Regel: Nur Lösungen, die bestimmte Standards erfüllen, werden vom zentralen BI-/Data-Team unterstützt oder für zentrale Plattformen freigeschaltet.

  4. Stufenmodell nach Größe und Abhängigkeit: Mit wachsender Bedeutung eines Datenprodukts sollten die Anforderungen steigen:

    • S: lokale Fachbereichslösung, wenig Vorgaben, begrenzte Abhängigkeiten

    • M: Fachbereichslösung mit definierten Standards für Semantik und Datenmodelle

    • L: integrierte Lösung mit verbindlicher Governance, Sicherheit und Wartungsfähigkeit

    • XL: Unternehmensweit genutztes Datenprodukt, kein Self-Service mehr, volle Professionalität


Ein Datenprodukt darf erst die nächste Stufe erreichen, wenn bestimmte technische Schulden bereinigt wurden. So lässt sich verhindern, dass unsaubere Lösungen „nach oben“ wachsen.


Technische Schulden erkennen und priorisieren

Die größte Herausforderung besteht darin, technische Schulden sichtbar zu machen. Vollständig durchmessen lassen sie sich zwar nicht, aber es gibt wirksame Annäherungen.


Technische Sicht

  • Abgleich mit Coding-Guidelines und Modellstandards

  • Überprüfung der verwendeten Tools und Versionen

  • Analyse von Schnittstellen, Workarounds und „Sonderwegen“

Organisatorische Sicht

  • Grad der Dokumentation

  • Abhängigkeit von Einzelpersonen

  • Anteil manueller Zwischenschritte

Prozessindikatoren

  • Häufigkeit und Dauer von Supportanfragen

  • Aufwand für Tests und Updates

  • Anzahl unerledigter oder verzögerter Anforderungen


Zusätzlich können Frameworks wie Debt-Analysis-Modelle oder Bewertungsbögen helfen, Schulden zu klassifizieren und nach Risiko und Aufwand zu priorisieren. Wichtig ist, dass die Behandlung technischer Schulden fest eingeplant wird – nicht als „nice to have“, sondern als integraler Bestandteil des Lebenszyklus eines Datenprodukts.

Fazit: Konkrete Learnings für Self-Service-Datenstrategien

Aus der Perspektive von Self-Service-Datenlösungen lassen sich einige zentrale Lehren ableiten:

  • Self-Service ohne Governance führt langfristig in die Sackgasse.

  • Technische Schulden sind ein Werkzeug, kein Unfall: bewusst eingesetzt, ermöglichen sie schnellere Innovation, unkontrolliert können sie ganze Datenlandschaften blockieren.

  • Jede Produktivsetzung ist nur der Anfang – nicht das Ende der Verantwortung.

  • Stufenmodelle und klare Aufstiegsbedingungen helfen, Freiheiten und Risiken zu balancieren.

  • Datenkompetenzaufbau im Fachbereich reduziert unbewusste Schulden und erhöht die Qualität von Self-Service-Datenprodukten.


Organisationen, die technische Schulden transparent machen, bewusst eingehen und konsequent abbauen, können Self-Service-Datenlösungen nicht nur sicherer, sondern auch langfristig erfolgreicher gestalten.

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